Hoch oben mit Gustaf, dem Meister des Windes

Hey! Ich bin Gustaf, der Gänsegeier. Mein Zuhause sind die warmen, felsigen Berge, wo der Himmel weit und der Wind meine treue Landkarte ist. Meine Artgenossen und ich fühlen uns in Südeuropa besonders wohl. Dort, zwischen zerklüfteten Klippen und Tälern, finde ich genau das, was ich zum Leben brauche: belebende Thermik, genug Platz für meine riesigen Flügel und all die Leckereien, die Mutter Natur uns Aasfressern beschert.

Es war ein wunderschöner Morgen, als ich auf einem Felssporn saß, die ersten Sonnenstrahlen auf meinem Gefieder fühlte und mich für den Tag bereit machte. An diesem Tag hatte ich ein Ziel: weiter fliegen, höher steigen, schneller kreisen als jeder andere Gänsegeier. Zugegeben, ich war schon immer ein klein wenig ehrgeizig. Ich wollte unbedingt den Titel des besten Fliegers im Geier-Tal zurückerobern, nachdem Carlos, mein bester Freund und eine echte Schoßklaue, mir im letzten Jahr knapp diesen Titel abgeluchst hatte.

Ich schüttelte meine Flügel und spähte in den Himmel. Die Luft war trocken, genau wie ich es mag. Die Sonne hatte die ersten Thermikströme über den Felswänden erhitzt. Ein letzter Blick nach unten, wo eine Gruppe Wildziegen am Hang entlangkletterte – schlaue Tiere, die immer balancieren wie auf unsichtbaren Seilen. "Heute ist mein Tag", dachte ich und breitete meine Flügel aus. Mit einer Flügelspannweite von fast drei Metern benötige ich keinen Sprung – ein kräftiger Flügelschlag katapultierte mich kinderleicht in die Luft.

Die Luft unter meinen Flügeln fühlte sich an wie glattes Wasser – der perfekte Gleitflug! Hoch oben schloss ich mich anderen Gänsegeiern an, die elegant Kreise flogen. Einer von ihnen war Carlos. "Wieder bereit für ein kleines Wettrennen?" rief ich lächelnd. Carlos grinste nur lässig zurück. "Gustaf, ich bin immer bereit!" Und so begannen wir, durch die unsichtbaren Kreise der Thermik zu klettern, immer höher hinauf bis die Erde klein wie eine Käferkolonie unter uns lag.

Plötzlich kam ein unerwartetes Hindernis. Ein Schwarzmilan, den wir in unserem Revier nicht oft sahen, versuchte durch unsere Kreise zu fliegen. "Vorsicht, es wird eng!", rief Carlo. Doch ich änderte meine Flugbahn schnell und geschickt. Mein Herz hämmerte. Es fühlte sich an wie ein entscheidendes Turnier. Ein falscher Flügelschlag – und es war vorbei! Doch mein Training zahlte sich aus. Mit einem eleganten Manöver wich ich dem Milan aus, griff den nächsten Thermikstrom und übernahm die Spitze.

Nach einer halben Stunde rief Carlos lachend: "Okay, okay – ich gebe auf! Diesmal bist du der König der Lüfte, Gustaf!" Meine Brust schwoll vor Stolz an, und ich landete mit einem sanften Schwung auf dem höchsten Punkt der Klippe. Die Aussicht war atemberaubend: endlose, staubige Weiten, die Heimat von Wildziegen, Hasen und großen Krähen. "Manchmal geht's nicht darum, der Schnellste zu sein," grummelte Carlos und schnaubte, "sondern darum, nicht aus der Kurve zu fliegen." Wir lachten beide.

Wusstest du schon?

Gänsegeier können bis zu 10.000 Meter hoch fliegen – das ist höher als manche Flugzeuge! Sie nutzen die aufsteigende Thermik und sparen so enorm an Energie. Kein Wunder, dass sie wahre Könige der Lüfte sind!