Windflüsterer: Ein Tag im Leben von Rako

Ich heiße Rako, und ich bin ein Bussard. Fast jeden Morgen, wenn sich der Nebel vom Tal lichtet und die ersten Sonnenstrahlen auf meine braunen Federn treffen, spüre ich das Kribbeln in meinen Krallen. Es bedeutet, dass heute ein guter Tag zum Fliegen wird. Mein Zuhause, das breite, offene Land mit glitzernden Feldern und schattigen Wäldchen, liegt friedlich unter mir. Es ist Herbst, und die klare Luft riecht nach feuchtem Moos und verfärbtem Laub. Das ist meine liebste Jahreszeit, wo die Winde kräftig und voller Geschichten sind.

Ich sitze auf meinem Lieblingsplatz, einem knorrigen alten Baum, der weit oben auf einem Hügel steht. Von hier aus sehe ich alles: die Felder, wo die Mäuse in der Erntezeit unvorsichtig werden, den kleinen Bach, der sich durch das Tal schlängelt, und selbst die hohen Fichten, wo sich der flinke Eichelhäher herumtreibt. Während ich warte, ziehe ich meine Flügel eng an meinen Körper und fühle den sanften Wind der herannahenden Morgenbrise. Doch plötzlich höre ich ein leises Rascheln. Mein Kopf schnellt herum, und meine scharfen Augen – so scharf, dass ich kleine Bewegungen in großer Entfernung wahrnehmen kann – spähen in das hohe Gras. Eine Wühlmaus! Aber die Bewegung ist noch zu klein. Noch nicht der richtige Moment. Mit Geduld warte ich auf die perfekte Gelegenheit – denn das ist es, was uns Bussarde zu so guten Jägern macht.

Plötzlich durchbricht ein hoher, kreischender Ruf die Luft. Ich spüre, wie mein Brustkorb flattert. Es ist Schari, der Habicht, der in der Nähe seines Nestes Alarm schlägt. Seit einer Weile hat er Junge, und er ist immer auf der Hut. Ich weiß, dass er mich nicht gern in der Nähe sieht, obwohl wir uns nicht wirklich stören. "Rako!", ruft er aus der Ferne. "Bist du wieder auf der Suche nach deiner Frühstücksmaus?" Ich lache nur und breite meine Flügel aus. Mit einem kräftigen Schwung hebe ich ab und der Wind trägt mich fort, höher und höher, bis ich den Wald und die Felder weit unter mir sehen kann.

Obwohl ich es genieße, über dem Land zu kreisen, lehre ich die anderen Tiere Respekt. Während ich jetzt elegant durch die Luft segle, versuche ich meinen Schatten bewusst über die Ebene fallen zu lassen. Die Mäuse spüren meinen Schatten und zucken zusammen, die kleinen Feldspatzen flattern nervös umher, und sogar der listige Fuchs, der zwischen den Brombeerbüschen lauert, schaut nach oben. Doch ich habe nicht nur Augen für die Beute unter mir. Über mir, hoch oben, ziehen gelegentlich größere Schatten durch den Himmel: Steinadler, meine stillen Rivalen. Auch wenn sie sich normalerweise nicht in meine Nähe wagen, bleibe ich vorsichtig. Ich habe schon oft gesehen, wie ein Bussard, der zu unaufmerksam war, von einem solchen Jäger überrascht wurde.

Nach einer Weile entdecke ich endlich die richtige Gelegenheit. Eine Wühlmaus hat ihre Deckung zu weit verlassen und sitzt inmitten eines kleinen freien Flecks. Mit angelegten Flügeln tauche ich ab. Der Luftstrom brüllt in meinen Ohren, und mein Herz schlägt schneller, als ich den perfekten Moment abwarte. Meine Krallen fahren aus, und im nächsten Moment ist es vorbei. Ich habe meine Beute sicher im Griff. Heute werde ich wieder satt, und die Energie des Herbsttages wird mich noch weiter durch die Lüfte gleiten lassen.

Doch der Tag ist noch lange nicht vorbei. Während das rote und goldene Licht des Herbstes alles um mich herum in eine faszinierende Landschaft verwandelt, suche ich mir einen neuen Beobachtungsposten für die Abendstunden. Der Kreislauf des Lebens in meinem Revier hat seine eigene Melodie, und ich bin stolz, ein Teil davon zu sein.

Wusstest du schon? Bussarde können ihre Flügelspannweite von bis zu 130 cm nutzen, um stundenlang in der Luft zu kreisen, ohne auch nur mit den Flügeln zu schlagen.